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Höchstes Geburtendefizit in Deutschland seit Ende des Zweiten Weltkrieges

Von
Marcel Leubecher
Politikredakteur

Stand: 11.05.2022 | Lesedauer: 4 Minuten

Im vergangenen Jahr gab es 228.000 weniger Geburten als Todesfälle. Deutschland verzeichnet im 50. Jahr in Folge ein Geburtendefizit. Ohne die im internationalen Vergleich sehr starke Zuwanderung würde die Bevölkerungszahl bereits seit Jahrzehnten kontinuierlich abnehmen. Quelle: Klaus Rose/picture-alliance/dpa; Montage: Infografik WELT

Obwohl die Geburten in Deutschland seit dem Tiefststand 2011 wieder auf geringem Niveau ansteigen und 2021 so viele Kinder geboren wurden wie seit 25 Jahren nicht mehr, hat das sogenannte Geburtendefizit 2021 einen neuen Höchststand erreicht. Den fast 796.000 Neugeborenen standen im vergangenen Jahr rund 1.024.000 Todesfälle gegenüber - damit ergibt sich ein Geburtendefizit von 228.000. Wie das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) am Mittwoch mitteilte, ist dies der höchste Wert seit Ende des Zweiten Weltkriegs.

Dem Institut zufolge ist die Geburtenbilanz in Deutschland seit nunmehr 50 Jahren in Folge negativ - einen Überschuss gab es demnach zuletzt 1971. Seitdem übersteigt die jährliche Zahl der Todesfälle die der Geburten.

Als Hauptgründe für den Rückgang gelten die erleichterte Verhinderung ungewollter Schwangerschaften durch die Verbreitung der Antibabypille und der Wertewandel in den Jahren um 1968. Im Jahr 1975 lag das Geburtendefizit schon bei minus 207.000, bevor es sich bis 1988 wieder erholte auf ein Minus von 8000. Anschließend vergrößerte es sich tendenziell erneut.

Quelle: Infografik WELT

Eine wesentliche Ursache für das Rekorddefizit 2021 ist laut dem Bundesinstitut die zunehmende Alterung der Bevölkerung. Die gestiegene Lebenserwartung und das Nachrücken großer Jahrgänge in ein höheres Alter ließen die Zahl älterer Menschen ansteigen. Das kann die leicht steigende Zahl von Kindern nicht ausgleichen. Der Einfluss der Corona-Sterblichkeit habe diesen Trend verstärkt, war aber dem Institut zufolge "nicht maßgeblich".

Eine wesentliche Ursache für das Rekorddefizit 2021 ist laut dem Bundesinstitut die zunehmende Alterung der Bevölkerung. Die gestiegene Lebenserwartung und das Nachrücken großer Jahrgänge in ein höheres Alter ließen die Zahl älterer Menschen ansteigen. Das kann die leicht steigende Zahl von Kindern nicht ausgleichen. Der Einfluss der Corona-Sterblichkeit habe diesen Trend verstärkt, war aber dem Institut zufolge "nicht maßgeblich".

Wegen des seit 50 Jahren bestehenden Geburtendefizits verstarben laut Institutsangaben seither gut 6,1 Millionen Menschen mehr in Deutschland, als zur Welt kamen. Auch wandern seit den 80er-Jahren jährlich mehr Bundesbürger aus, als aus dem Ausland zurückkehren. Alleine zwischen 2005 und 2020 verließen 728.000 mehr Deutsche dauerhaft die Bundesrepublik, als wiederkehrten. Dass die Bevölkerung seit 1972 trotz Geburtendefizits und starker Abwanderung von Deutschen um mehr als vier Millionen zugenommen hat, ist laut dem Bundesinstitut auf die Einwanderung von Ausländern zurückzuführen.

Jede neunte Schwangerschaft mit Abtreibung beendet

Ohne die im internationalen Vergleich sehr starke Zuwanderung würde die Bevölkerungszahl bereits seit Jahrzehnten kontinuierlich abnehmen. Wie das Institut vergangenes Jahr in einem Demografiebericht für die Bundesregierung geschrieben hatte, verzeichnete "kein anderes Land der Welt über einen so langen Zeitraum derart niedrige Geburtenziffern" - nämlich seit 1975 fast 40 Jahre lang im Durchschnitt weniger als 1,5 Kinder pro Frau.

Erst seit dem zurückliegenden Jahrzehnt steigen die Zahlen vor allem wegen der Asylzuwanderung wieder leicht an. Laut dem Institutsbericht für die Regierung wird "das Fertilitätsgeschehen seit 2014 auch verstärkt durch Geburten in Familien, die als Geflüchtete nach Deutschland zugewandert sind, beeinflusst". Der starke Zuzug "von weiblichen Schutzsuchenden im Jahr 2015 und 2016 aus dem Nahen und Mittleren Osten sowie aus Afrika, also Regionen, die eine hohe Geburtenhäufigkeit aufweisen", sei "zum großen Teil für den Anstieg der Geburtenzahlen in Deutschland verantwortlich".

Frauen aus Syrien, Afghanistan, dem Kosovo und dem Irak hätten "im Zeitraum 2015 bis 2016 mit durchschnittlich 3,5 bis 4,6 Kindern je Frau eine auffallend höhere Geburtenziffer als die durchschnittliche Geburtenziffer aller ausländischen Frauen (2,1)". Deutsche Staatsangehörige kommen auf durchschnittlich 1,4 Kinder, bei den eingewanderten EU-Ausländerinnen ist die Quote ähnlich gering oder sogar noch geringer. EU-weit liegt die Geburtenziffer bei 1,53 Kindern pro Frau.

Ein weiterer Grund für die geringen Geburtenzahlen in Deutschland sind Schwangerschaftsabbrüche. Etwa jede neunte Schwangerschaft wird mit einer Abtreibung beendet. 2020 kamen laut Destatis auf rund 773.000 Geburten rund 100.000 Abtreibungen. Die Lage ändert sich aber seit einiger Zeit: Im Jahr 2000 kamen auf 767.000 geborene Kinder noch 135.000 Abtreibungen. Nur selten erfolgen Abtreibungen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes aus medizinischer Indikation oder aufgrund von Sexualdelikten. Die Institutsforscher rechnen auch für die Zukunft mit einem dauerhaften Geburtendefizit, deshalb sei es für das Entwicklungspotenzial der Gesellschaft "umso wichtiger, verstärkt in Bildung zu investieren", so Direktorin Katharina Spieß, "und zwar von Anfang an".


Quelle: welt.de


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